Geschichten

Der Atemhauch aus der Vergangenheit

Der Atemhauch aus der Vergangenheit.

 

Mit vielen Paketen beladen bemühe ich mich die Treppe hinunter zu gehen und nicht dabei zu straucheln. Es ist für die Jahreszeit ungewöhnlich warm. Endlich an der Türe von der unteren Wohnung angekommen, lade ich meine Last ab, öffne die Türe und eine angenehme Kühle umgibt mich, denn die untere Wohnung ist in der Erde gebaut und dort herrschen andere Gesetze der Temperatur Regelung als auf der Oberfläche. Nur ich darf mich nicht dieser angenehmen Kühle hingeben, ich muss wieder weiter, noch mehr Sachen müssen gezügelt werden von der überwärmten oberen Wohnung, die in kürze in eine einzige Baustelle verwandelt wird. Mühsam steige ich die unregelmässigen steilen Stufen wieder hoch und überlege, wie oft es noch zu schaffen ist. Mein Knie schmerzt und ich habe heiss. Auf der vorletzten Stufe mache ich Platz, jemand sitzt da, ich hebe die vor der grellen Sonne gesenkten Augen. Ausser Atem grüsse ich. Eine alte Frau sitzt vor mir auf der letzten Stufe. Sie grüsst zurück.

„Müde?“ Fragt sie mit einer angenehmen Stimme. Sofort war sie mir sympathisch. „Setz dich ein bisschen zu mir.“ Ich kann nicht nein sagen, sie zieht mich an der Hand zu sich. Ich setze mich. „Was machst Du da?“ „Ich zügle.“ „So, und warum?“ „Das Haus wird renoviert.“ „Schade.“ „Warum, es regnet hinein, das Dach muss erneuert werden.“ „Hm.“

Sie schien darüber unglücklich. Warum nur? Ich sah sie mir an. Irgendwie sah sie merkwürdig aus. Angezogen mit einer Tracht? Nicht ganz, das müssten die Arbeitskleider in alten Zeiten sein. Sie hatte ein sympathisches Gesicht, das sicher gerne lächelte, braune nachdenkliche Augen, ganz weisse Haare. Auf den Haaren trug sie ein weisses Tuch, welches im Moment nur lose auf die Schultern fiel, da sie offensichtlich auch heiss hatte. Sie trug eine einfache Bluse, welche am Hals mit einer Kordel gezurrt war und gebunden. Ähnlich gebunden war auch der schwarze Rock über welchem sie einen grossen grauen Schurz trug. Neben ihr lag auf dem Boden ein Bündel, aus welchen die Stiele von Zwiebeln hervorlugten, es roch auch nach reifen Zitronen und frischen Kräutern wie Minze und Oreganon. Sie sah mein Blick, drehte sich zu mir langte in den Bündel und reichte mir zwei Zitronen. „Nimm, sind gut gegen Krankheiten!“ Sie strahlte eine Ruhe aus, und irgendwie… Geborgenheit. Ich konnte mir es nicht erklären, plötzlich hatte ich es nicht mehr eilig, als ob die Zeit gefunden hätte, sie muss sich auch ausruhen. Mein Knie hörte auf zu schmerzen und ich war neugierig was weiter kommt. „Komm mit, ich will Dir was zeigen!“ Sagte plötzlich die alte Frau und zog mich wieder an der Hand. Wir stiegen rasch die drei Stufen hinauf, welche auf die kleine Veranda des oberen Hauses führte. Irgendwie war die ganze Umgebung des Hauses anderes, es störte mich aber gar nicht. Vor dem Haus stand ein Maulesel angebunden und auf dem Rücken trug er zwei grosse Holzkörbe, welche voll mit Schiefersteinplatten waren. Die Eingangstüre des Hauses stand offen. Ich wunderte mich, ich hatte sie ja zugemacht? Wir traten hinein. Ich erkannte unser Wohnzimmer nicht mehr. Andere Möbel standen da in einer Ecke gestapelt und mit einem gestreiften Tuch zugedeckt. Dort, wo immer ein Soffa stand und auf der Wand ein grosser Spiegel hing, war eine grosse Nische deren Rückwand eine Türe war. Unten am Boden waren bereits einige der Schieferplatten so gestapelt, dass man sehen konnte, man war im Begriff die Türe zuzumauern. Ein Mann, welcher davor stand in der Hand eine Maurerkehle, drehte sich zu uns um. „Hast Du es aufgemacht, ist es gekommen?“ „Ja, alles ist in Ordnung, am Mittag gehe ich es zumachen. „Mach mir einen Kaffee und bring mir kaltes Wasser!“ Befahl der Mann kurz.. Er trug auch Kleider, welche eher in das Zeitalter des vorigen Jahrhunderts passen würden. Sein Gesicht war stark sonnenverbrannt, auf dem Kopf trug er ein Tuch umgewickelt fast einem Turban ähnlich nur viel kleiner. Seine strengen, ruhigen Augen sahen mich prüfend an. Als er zu sprechen angefangen hat, bewegte sich sein mächtiger Schnauz mit und seine buschige graue Augenbrauen zogen sich zusammen. Er sprach mich nicht direkt an. Er sah mir in die Augen, ich wusste, dass er es zu mir sagte, aber weder begrüsste er mich, noch benützte irgendwelche Ansprechwendung da er sowieso meinen Namen nicht kannte, welche mich betreffen könnte.

„Das Gesetz darf nicht gebrochen werden! Ist das Klar? Das Gesetz!“ Wiederholte er mit Nachdruck. Sagte er es jetzt zu mir? Und was für Gesetz meinte er eigentlich? „Als ob er meine Gedanken lesen konnte, erklärte er geduldig.

„Das Haus ist sehr alt, so alt dass es für uns so ist, als ob es immer da wäre. Schon mein Grossvater sagte, dass es ein altes Haus war, als er einzog. Aber auch er kannte das „Gesetz“ von seinen Vorfahren, achtete es und deshalb steht dieses Haus immer noch. Es ist eine Einheit, welche ursprünglich nach einem Konzept des Gleichgewichts geschaffen wurde. Natürlich haben wir es im Verlaufe der Zeit unseren Bedürfnissen angepasst, aber immer haben wir darauf geachtet, dieses Gesetz des Zusammenhalts nicht zu verletzen. Hier gibt es viele Erdbeben und die Erschütterungen werden übertragen von Stein zu Stein. Da sie alle aneinander und ineinander verbunden sind, bewegen sie sich alle zusammen im gleichen Rhythmus und es passiert nichts. Unterbrichst Du diesen Zusammenhalt, bekommt jedes Teil sein eigenes Rhythmus, stossen gegeneinander und zum Schluss im Grunde genommen der eine Teil zerstört den anderen. Hier war eine Türe in das andere Teil des Hauses. Wir mussten diesen Teil verkaufen. Unsere Tochter heiratet bald und den oberen Stock bekommt sie als Mitgift. In den Heutigen modernen Zeiten will man eine Küche haben, als ob nicht eine Feuerstelle gereicht hätte zu der Zubereitung von Essen. Auch ein Abort will man haben, ins Feld will man nicht mehr laufen, ist wahr, dass die Felder langsam zu weit sind. Ringsherum werden Häuser gebaut. Na ja, wir sind arme Leute das Geld um dazubauen haben wir nicht. So verkauften wir den Teil nebenan, da hinter der Türe, decken wir die Feuerstelle mit dem Backofen mit einem Dach zu und daneben baue ich den Abort dazu. Davor mache ich aber noch eine Türe, niemand muss sehen, wenn wir es machen gehen!“ Man sah dass er ganz unglücklich über die bevorstehende Veränderung an dem Haus war, welche er dem Haus zudem selbst zufügen würde. „Das Gesetz darf nicht verletzt werden! Wie mache ich das nur!“ Murmelte er es nur ausschliesslich für sich, schwer in Gedanken versunken. In dem Moment trat die Frau ins Zimmer, in den Händen ein Tablett mit drei rauchenden kleinen Tassen Kaffee, drei Gläser Wasser und drei kleine Tellerchen mit kandierten Früchten in Sirup. Sie stellte alles auf einen Stuhl und wir setzten uns dazu auf die Schieferplatten, welche herum lagen. „Hast Du das Maultier abgeladen und versorgt?“ Fragte der Mann seine Frau streng, als er sah dass sie sich zu uns setzte. „Ja Effenti“ antwortete die Frau leise. Schweigend assen und tranken wir die kleine Erfrischung fertig. Der Mann sass da tief in Gedanken versunken beschäftigt mit seinem Problem, hie und da murmelnd das Wort Gesetz, als ob es durch beschwören möglich wäre es zu ändern, was er ja vorhatte. Die Frau langte mir an die Schulter und als ich sie ansah, winkte mich hinaus. Sie sammelte das Geschirr und nahm es mit hinaus. Dort stapelte sie es in ein Becken und trug es hinunter auf den Vorplatz vor dem Eingang ins untere Haus. Dort in der Nähe war ein Brunnen und ich nahm an, dass dort Wasser geholt werden musste um alle entsprechenden Arbeiten erledigen zu können. Sie schleppte mich wieder hinauf ins obere Haus. „Mein Mann ist ein grosser Baumeister sagte sie mir stolz. Das alles wird er selbst machen, er hat sehr viele Häuser hier in der Umgebung und auch in den umliegenden Dörfern selbst gebaut. Auch im Hafen arbeitet er mit den anderen zusammen. Er arbeitet viel, wir brauchen das Geld für die Mitgift der Tochter.“

Sie führte mich durch das ganze Haus und zeigte mit Stolz alles was bereits fertig war. Im Schlafzimmer zwei grosse Nischen „Für ihr Bettzeug, da sind wir noch mit dem weben dran.“ Sagte sie mit Nachdruck.“ Auch die Kunstvollen Nischen im Wohnzimmer, welche bereits fertig waren, “da kommt ihr Silber und Kupfer Geschirr und Porzellan.“ Teilte sie mir verschwörerisch mit. Der Mann stand plötzlich auf. „Er erwachte aus seiner Versunkenheit.    Ihr wolltet es so haben. Zum Glück sind die Änderungen ausserhalb von Haus. Bei einem Erdbeben stürzt das Neue ein, nicht das Alte. Sagte er entschieden, und deshalb verbinde ich es auch nicht so fest. Nur nichts verletzen, nur nichts verletzen!“   Er versank wieder in seinen Gedanken.

„Was  hast Du? Ist Dir schlecht geworden? Warum sitzt Du hier auf der Treppe?“ Mein Mann sah mich besorgt an. Ich erschrak. Wo war ich plötzlich? Die Sonne brannte mich ins Gesicht. Ich schaute mich um. Das Maultier war nicht da, die Umgebung war wieder so wie ich sie von Vorher kannte. Was war mit mir geschehen? „Ein Atemhauch der Vergangenheit? Ist es Möglich?“

„Komm, der Baumeister ist da, wir müssen mit ihm vereinbaren, was wir da alles machen.“ Ich hielt inne. „Du, aber ja nicht den Charakter des Hauses verändern!“ „Haben wir doch gesagt.“ Antwortete er fast verärgert.

Als der Baumeister seine Vorschläge unterbreitete und selbst auch die Vermutung äusserte, dass in den Wänden auf uns einige Überraschungen warten, wussten wir beide, dass er Recht hatte. Ich dachte an das „Gesetz“ sagte aber nur „ sie folgen dem Haus, verändern sie nichts, entdecken und bringen sie zum Vorschein, machen sie nichts kaputt, zerstören sie nicht die Einheit des Hauses.“ Mein Mann sagte „wir wollen kein neues Haus, wir wollen dieses Haus.“  „Machen sie sich keine Sorgen. Ich verstehe sie, ich würde auch nicht gerne etwas hier verändern. Die alten Häuser vertragen es nicht, die haben eigene „Gesetze“ der Statik und die müssen wir achten. Ich kenne mich aus, ich bin darin aufgewachsen. In meiner Familie sind alle Baumeister von Vater zum Grossvater und weiter zurück…“  Der Atemhauch der Vergangenheit hatte uns in seinem Bann.