Geschichten

Trennung und Wiedersehen, Schwarz und Weiss

Trennung und Wiedersehen. Schwarz und Weiß.

 

In einer Gruppe älteren Menschen, welche etwas gelangweilt eine träge Diskussion  über alles und nichts führten, bekam eine der anwesenden Frauen eine Idee. Sie wand sich an ihre Nachbarin und sagte: „Du, Anka, Du schreibst doch Geschichten, erzähl uns mal eine.“ „Was für eine?“ Fragt die überraschte Frau. Die andere Frau denkt schnell nach.. „Denk Dir doch schnell was aus..“ Sie sucht herum. ..“über, über, na, diesen kleinen Stein“ und sie nimmt einen kleinen Kieselstein aus weißem Marmor in die Hand. „Oder über diesen“ und sie nimmt in die Hand noch einen schwarzen Kieselstein. „Oder über beide!“

Anka nimmt die beiden Steine in die Hand. Sie sind angenehm warm, die Sonne schien die ganze Zeit auf sie. „Als ob sie lebendig wären.“ Dachte Anka für sich. Ihre Oberfläche war schön glatt, sie streichelte sie.

Sie entschied sich. „Gut, aber dafür darf ich sie behalten!“ Handelte Anka im Voraus ihr Honorar. „Abgemacht.“ Die Gesellschaft wurde aufmerksam. Alle setzten sich bequem und horchten auf.

Anka tauchte nachdenklich die Hand mit den beiden Steinen ins Wasser. Ihre Farben strahlten leuchtend Schwarz und Weiß. Sie glänzten in der Sonne. „Na, dann“ sagte sie und atmete tief aus.

 

„Das Meer schaukelte friedlich in kleinen spielerischen Wellen,  der Tag war wunderschön. Mit jeder kleinen Welle bewegten sich die kleinen Steine und rieben verliebt an einander. „Schschsch, Schschsch, Schschsch.“ Sie waren ganz konzentriert auf diesem harmonischen Zusammenspiel mit den Wellen. Kein Steinchen wollte aus diesem Rhythmus herausfallen. Es war wunderschön, alle zusammen, alle aneinander geschmiegt „Schschsch, Schschsch, Schschsch.“ Manchmal brach ein Körnchen aus einer scharfen Ecke ab und wurde selbständig eingegliedert in diese sich ständig bewegende, sich ständig umformende Materie, die in völligen Einklang war mit der Energie des Wassers. „Schschsch, Schschsch, Schschsch. Es war ein wunderschönes Spiel der Liebe  der Sonne und Wassers, Wassers und der Steine und der Steine unter sich. Das Resultat war die Zeitlosigkeit. Es sollte nie enden. Die Steine rieben sich irgendwann auf und wurden irgendwann zum Meer, welches wiederum die neuen Steine liebkoste. Alle dachten dasselbe, alle Steine waren unendlich glücklich und rieben mit Wonne aneinander. „Schschsch,Schschsch,Schschsch.“

Plötzlich fuhr ein Boot vorbei und erzeugte große Wellen, welche wiederum durchbrachen die verträumte harmonische Bewegung und warfen sich mit Wucht auf die sich liebende Steine. Die starken Wellen warfen einige Steine aus dem Wasser. Darunter waren auch zwei Kieselsteinchen das Schwarze und das Weiße. Vergebens schauten  sie sich um nach der nächsten sich nähernden Welle, welche sie wieder zurück zu den Anderen gebracht hätte. Langsam trockneten sie an der Sonne. Ihre Farbe wurde matter. Sie lagen da und waren traurig. Da sagte der Weiße Stein zum Schwarzen. „Zum Glück sind wir wenigstens zusammen. Der Schwarze seufzte nur: „Bis uns etwas trennt.“  Der Weiße war voll Optimismus. „Bis dahin sind wir aber zusammen. Weißt Du was?“ „Was?“ Brummte der Schwarze trübsinnig zurück. „Träumen wir inzwischen was.“ „Was denn?“ „Na, zum Beispiel unsere Vergangenheit.“ „Hm, nicht schlecht.“ Das hatte dem Schwarzen gefallen. „Meinst Du? Und woher kommst Du überhaupt?“ Der Weiße schmiegte sich zutraulich an den Schwarzen und sagte gedehnt. „Ganz genau weiß ich das nicht. Das erste, was ich mich erinnern kann, ist ein wunderschöner Tempel. Ich bin ein Teil des Marmorquaders, welcher zwei hohe Säulen verbindet und stützt die Dachkonstruktion. Alles um mich ist so friedlich. Ich sehe herunter auf Menschen in schönen festlichen Kleidern, die zum Tempel kommen, in Händen Blumen, Früchte und andere Gaben. Zu mir empor erheben sich Schwaden wohlriechenden Weihrauchs und in kunstvollen Gefäßen brennen Feuer. Ein Lieblicher Gesang von wunderschönen weißgekleideten Mädchen ergänzt diese wunderschöne Szene. Ich kann nicht genug bekommen von dieser Schönheit. Der Tempel befindet sich auf einer Anhöhe und ich sehe auf das Meer. Es ist herrlich blau und glatt, die Sonne bereitet sich zum untergehen. Das Meer wird dunkler, der Gesang lauter. Die Priester werfen wohlriechende Kräuter in die Gefäße mit dem Feuer und erheben ihre Hände zum Himmel empor. Die Sonne ist  nun eine rote Feuerkugel, sie berührt fast das Meer. Plötzlich wölbt sich das Meer. Es überdeckt die Sonne. Die Erde bewegt sich. Der Gesang hört abrupt auf ersetzt durch Schreie des Entsetzens. Der Tempel geriet ins wanken. Die tragenden Säulen schwanken, sie fallen. Ich auch. Der Quader zersplittert. Ein Stück, mein Stück rollt den Berg herunter. Er wird erfasst, erfasst von einer riesigen Welle, die auch alles andere umgibt und vieles mit sich nimmt. Ich gehe auf Reisen, werde getragen, geschoben, gerieben, bis ich ganz gehöre zu meiner Familie, den vielen kleinen Kieselsteinen.“

„Und da komme ich.“ Springt in das Sinnen der Schwarze Kieselstein.  „Wie? Kommst Du? Woher?“ „Weißt Du überhaupt, woher diese große Welle kam?“ „Nein und Du?“ „Ja, natürlich, sie hat meine Geburt begleitet.“ Erklärte der Schwarze Kieselstein stolz. „Deine Geburt? Bist Du geboren?“  „Ja, aus dem Inneren der Erde. Es gibt so Berge- Vulkane heißen sie und die haben Verbindung zum inneren der Erde. Das heißt Magma und ist flüssig und sehr heiß. Manchmal dehnt es sich aus und steigt durch die Öffnungen in den Vulkanen empor und explodiert und so kommt es heraus. Wenn dieses Magma draußen an die Luft kommt oder ins Wasser, kühlt es ab und wird zum Stein und der ist schwarz, so wie ich. So kam auch ich auf diese Weise ins Meer und wurde ein Teil unserer Familie. Diese Explosion erschütterte nicht nur das Land, aber auch das Meer und so bildete sich diese große Welle, welche Dich hinein spülte, zu mir.“ Sagte der Schwarze zufrieden und liebkoste den Weisen Kieselstein.

„Meinst Du, dass wir wieder ins Meer kommen?“ „Ja.“ Sagte fest der Schwarze. „Unser Platz ist dort, es spielt keine Rolle wann und wohin wir inzwischen landen, am Ende kommen wir wieder ins Meer. Die Zeit ist nur eine Erfindung der Menschen. Für uns gilt nur ein Begriff: Unendlich – Ewig.“ Der Weiße Stein hat sich beruhigt. Er lehnte sich an den Schwarzen und schlief ein. Der Schwarze auch.

In der Zwischenzeit wurde es dunkel. Das Meer war nicht mehr so ruhig. Die Wellen wurden größer, sie schlugen um sich. Die Steine im Wasser am Strand gerieten in größere Bewegung, als ob sie miteinander stritten. Man hörte nicht mehr „Schschsch, Schschsch, Schschsch, sondern Krrr, Krrr, Krrr. Die beiden Kieselsteine Schwarz und Weiß schliefen fest und merkten nichts. Das Wetter wurde immer schlechter es entwickelte sich zu einem Sturm. Die Wellen bäumten sich auf und schlugen mit Wucht auf den Strand. Zum Schluss erwischten sie die beiden Schläfer, erfassten sie und warfen sie zurück ins Meer. Das Wasser war ganz trübe, die wild gewordene Wellen wirbelten den ganzen Dreck von Meeresgrund auf.  Alles kam durcheinander. Die ganze Nacht stürmte es, bis der Morgen kam. Da beruhigte sich das Meer, der Wind legte sich. Das Meer lag still da, als ob es immer so wäre. Der strahlend blaue Himmel spiegelte sich auf der glatten Oberfläche. Die kleinen weichen Wellen plätscherten beruhigend am Strand und liebkosten die Kieselsteine, welche sich in ihrem Rhythmus hin und her bewegten: Schschsch, Schschsch, Schschsch.

Die Zwei, der Schwarze und der Weiße, wachten endlich auf. Einer fragte den Anderen. „Bist Du es?“ „Ja“ antwortete der Andere.

Anka hob ihren Blick vom Wasser, wo sie die ganze Zeit des Erzählens hin sah. Sie schaute in die Runde und fragte. „Waren sie es wirklich? War das Der Schwarze und Der Weiße aus unserer Geschichte?“ Sie sah auf ihre Hand, in der sie die zwei Kiesel hielt, schwarz und weiß, sie holte weit aus und warf sie ins Meer…

 

„Wenn sich zwei trennen und nach einiger Zeit wieder zusammen kommen, sind sie dann die gleichen wie vor der Trennung? Oder haben sie die Umstände verändert und nach dem wieder sehen sind sie sich fremd geworden?“…