Geschichten

Alltagsgeschichten.

Milde Gabe.

Immer mehr Menschen befinden sich in Griechenland in Geldnot. Das ist allgemein bekannt. Wie sie aber mit diesem Problem umgehen, das ist wohl nicht so bekannt. Interessiert wohl aber in diesen Tagen des allgemeinen Frusts die wenigsten.  „Sollen sie selbst damit fertig werden, die haben sich das selbst eingebrockt.“ Das Denken sicher viele Menschen in Europa. Ist auch wahr, aber eigentlich betrifft die Haupt Schuld die jeweilige Regierungen dieses Landes und weniger die Bevölkerung. Die haben einfach geglaubt, was man ihnen sagte. Falsch? Möglich. Und jetzt? Wieder sagen sie etwas. Sollen die Menschen es wieder glauben? Wie?

Ich eile die Straße entlang und im Geiste überlege, ob mir die Zeit reicht alle meine Belange rechtzeitig zu erledigen. Plötzlich spricht mich eine junge Frau an. Neben ihr steht ein ca. 11jähriges Mädchen. „Bitte, wir haben heute noch nichts gegessen, könnten sie uns etwas Brot kaufen, damit zumindest mein Kind was essen kann?“  Ich bin nicht glücklich über die Unterbrechung meiner Gedanken und außerdem hatte ich es wirklich eilig. Wir standen vor einem großen Supermarket. „Die übliche Masche.“ Dachte ich mir verärgert. Viele Berufs Bettler machen es so. Aber dann sah ich in das Gesicht dieser jungen Mutter. Sie bat mich nicht ums Geld. Viele Menschen, wenn sie es eilig hatten, würden ihr sicher lieber das Geld in die Hand drücken anstatt sich im Laden in der Schlange abzuplagen. Möglich, aber wenn sie es wirklich nötig haben? Ich rette meine Zeit, will aber nicht nachgeben in dem ich ihr einfach das Geld geben würde. „Schau, ich muss ganz schnell etwas erledigen, wenn Du nachher noch da bist, bringe ich Dir was.“ „Ich werde da sein, danke.“

Ich renne weiter, erledige meine Arbeiten und denke an die Frau vor dem Supermarket.  Es ist mir durchaus klar, dass es beides sein kann: Beruf, oder Not. Um eine Unterstützung von den Staatlichen Einrichtungen braucht es solche Formalitäten, dass es nur wenigen möglich ist an diese dranzukommen.  Absichtlich, damit kein Missbrauch getrieben wird. Bitte, auch wahr, aber wenn jemand kein Geld hat um sich und seinen Kindern Essen zu kaufen, wie kann er einen Computer besitzen um elektronisch alle die Zeugnisse und Bestätigungen  schicken zu können? Und ehrlich gesagt. Viele von diesen Leuten haben jahrelang, wo es ihnen noch gut gegangen war mit auch irgendeiner Schwarzarbeit und ohne dass sie dieses Geld versteuert hatten, gar nicht daran gedacht, dass sie ihr Leben Punkt für Punkt irgendwann belegen müssen. Ohne Unterlagen, kein Geld. Die Menschen und ihre Familien müssen aber jeden Tag essen… wie?

Betrug oder nicht. Auf dem Rückweg laufe ich in eine Bäckerei, kaufe Brot, Butter, Milch und Joghurt. Packe es in eine Tasche mit dem Gedanken, wenn Die Frau dann vielleicht weg wäre, hätte ich den Einkauf selbst brauchen können. Sie war aber dort. Ich übergab ihr die Tasche. Sie bedankte sich und schaute hinein. War es das, was sie brauchte? Sicher bekam sie auch etwas Geld, wenn sie dort lange stehen blieb. Heute, Morgen, Übermorgen…  Arbeit? Sicher suchte sie vergebens. Das wusste ich. Wie lange noch????

 

 

 

Das Opfer.

Hallo Andreas! Na Hallo! Wie geht es ihnen? Habt ihr guten Flug gehabt? Alles bestens. Und Du und deine Familie? Seid ihr alle gesund? Ja klar. Auf dieser Insel sind alle immer gesund. Weißt du das nicht Doktor? Weshalb kommst du denn zu uns? Um deine Heilbäder zu machen? Er lacht. Auch wahr.

Wir sitzen im Taxi und werden zum Hotel gefahren. Den Taxifahrer kennen wir schon über vier Jahre.  Eine Freundschaft entwickelte sich und wir freuen uns jedes Mal  ihn zu treffen. Er informiert uns über alle Neuigkeiten auf der kleinen Insel. Auch über seine Familie. Er vertraut dem Doktor, wie er ihn nennt.  Auch die übliche Diskussion über die Politik bleibt nicht aus. Der Weg ist weit und kurvig so fährt er langsam und vorsichtig.

Wir wissen, dass er einer von den vielen Rückkehrer von der „Fremde“ ist, Sohn Auswanderer nach Kanada, welche der Heimweh zur Rückkehr in die Heimat bewogen. Seine ganze Familie sind gleichzeitig Kanadische Bürger. Auch seine zwei Söhne. Die Freude über die Heimkehr  war aber nicht von Dauer. Er hatte sich von Erspartem das Taxi gekauft, seine Eltern lebten mit ihrer Rente aus Kanada, wo sie fast 30 Jahre in einer Fabrik arbeiteten. Die Kinder hatten anfangs etwas Schwierigkeiten in der Schule, aber das gab sich nach einiger Zeit.   Der ältere machte irgendwann seinen Abschluss als IT Spezialist und der jüngere wurde 2.Offizier der zivil Marine. Dann kamen schwierige Zeiten. Die meisten jungen Menschen wurden arbeitslos. Auch seine Söhne. Nur das Taxi während der Touristik Saison konnte die Familie ernähren. Die Söhne vertraten den Vater manchmal bei den Touren von Taxi. Aber natürlich das deckte bei weiten nicht die Bedürfnisse der jungen Menschen.

Der ältere Sohn fand Arbeit in einer Firma in Kanada und ist nun seit 2 Jahre wieder dort. Mit seinem Kanadischen Pass war es kein Problem. Nun kann er auch daran denken eine Familie zu gründen und unabhängig zu sein.

Und was ist mit dem anderen? Jah, das ist ein Problem. Er will um nichts auf der Welt weg gehen und sucht verzweifelt eine Heuer auf einem Schiff. Er hat schon alle bekannten Reedereien abgesucht. Kennst du vielleicht jemanden Doktor? Du kommst doch auch von einer Insel und sogar einer, welche berühmte Reeder hervorbrachte. Manche von ihnen besitzen noch heute sehr viele Schiffe? Kennen ist viel gesagt. Ich lebe fast 50 Jahre in Ausland. Wahr ist, dass als klein Kind habe ich mit manchen von ihnen, während sie auf der Insel in den Sommerferien waren, gespielt. Aber daran erinnern sie sich sicher nicht mehr. Auch meine zwei Brüder die Kapitäne waren und mit ihren Schiffen jahrelang gefahren waren, sind jetzt schon lange Zeit im Ruhestand und sicher kennt sie in der Reederei  niemand mehr. Nein, er muss es weiter versuchen. Ich weiß, normalerweise braucht man für so etwas gute Bekanntschaften. Du kennst doch sicher viele Menschen. Konnte Dir niemand helfen? Versucht habe ich es, aber nichts ist geworden. Ja, ja! Lachte der Doktor. Das Vitamin B war wohl zu schwach. Die Zeiten sind schwer auch für die Reedereien. Der Druck auf die Frachtkosten ist sehr groß und die Konkurrenz schläft nicht. Aber, wenn ich etwas weiß, sage ich Dir das sofort und Dein Junge soll nicht aufgeben, mal schafft er es!

Inzwischen waren wir angekommen und nach dem er bezahlt wurde, verabschiedete er sich mit Wünschen für guten Aufenthalt und erfolgreiche Kur. Ab dann trafen wir uns bei unseren Spaziergängen auf dem Dorfplatz, wenn er neue Kurgäste brachte oder abholte. Die Tage sind vergangen und die Zeit zur Abreise war gekommen.

Andreas kam die Koffer holen und schon befanden wir uns wieder auf dem Weg zum Flughafen. Na, wie geht es bei Euch? War die Saison gut dieses Jahr? Nicht so. Viele Einheimischen, die sonst jedes Jahr kamen, sind dieses Jahr nicht erschienen. Die Reisekosten waren für sie zu hoch bei der kleineren Rente die sie jetzt bekommen. Ja, ich weiß, alle im Dorf sagen das gleiche. Und was ist mit deinem Sohn? Das ist, was mich sehr traurig macht. Er hatte seine Papiere vorbereitet. Jetzt geht er doch weg. Aber schlimmer noch ist die ganze Geschichte drum herum. Was für Geschichte? Fragt der Doktor erstaunt.

Stell Dir vor, erzählt traurig Andreas. Ich saß am Abend i der Gartenlaube vor dem Haus und ruhte mich aus. Niemand sah mich. Mein Sohn traf auf der Straße seine Freunde und so wie sie dort im Gespräch waren, saßen sie vor der Laube im Grass. Da höre ich sei zu fragen, was er vorhat zu machen. Du hast es gut, Dich nehmen sie in Kanada sofort. Du hast dein Pass und Dein Bruder ist ja schon dort, der wird Dir sicher für den Anfang helfen. Ja, ja, gab mein kleiner wütend als Antwort. Der ist einfach auf und davon und kümmert sich gar nicht was oder wen er zurück lässt. Was meint ihr? Ich lasse meine Alten einfach alleine da und wenn sie Hilfe brauchen, sind wir einfach weg?! Ich muss für sie da sein, auch wenn ich fast verzweifle wenn Vater mit Taschengeld geben muss, damit ich ein Kaffee trinken gehen kann?

Da hatte es mir ein Stich ins Herz gegeben Doktor. Die Welt ist für mich dunkel geworden, keine Sonne, keine Freude. Ich sprach mit meiner Frau. Was meinst Du? Soll sie auch ihren Kleinen weg gehen lassen. Nein, sie muss ihn weg schicken!!! Als der Junge am Abend heim kam. Habe ich mit ihm gesprochen. Du brauchst Dich für uns nicht zu opfern… ja, ich habe zufällig eure Diskussion gehört. Du siehst doch, ich arbeite noch, und kann es noch ein paar Jahre tun. Uns geht es gut und Deinen Großeltern auch. Gehe jetzt, Du kannst ja später, wenn wir es brauchen, immer kommen. Er wollte nicht. Hat sich gesträubt, aber es ist notwendig. Er ist jung und ohne Arbeit geht er hier ein… Er seufzte schwer. Er wird uns fehlen. Dann lächelte er schwach. Wenn er angeheuert hätte, wäre er auch für einige Zeit weg. Aber… das wäre nicht so … endgültig.  Aber… es muss sein. Wir müssen es verkraften. Die anderen tun es auch.

 

Und dennoch gibt es Sie… die Hoffnung durch Erinnerung… an bessere Zeiten?

Der Himmel hängt grau über meinem Kopf… für hier ist es ungewöhnlich. Die Ende Oktober tage in Athen sind normalerweise recht sonnig. Nicht dieser aber. Die graue Atmosphäre drückt auf das Gemüt. Warum auch nicht? Ich laufe den Berg hoch auf dem unebenen Gehsteig eines Armenviertels. Die Stimmen der Kinder, welche zur nahen Schule geeilt sind, sind verhallt. Der Lärm der vorbeieilenden Autos, Lastwagen, Motorräder und Busse ist Ohrenbetäubend. Sie rauben den Fußgänger den letzten Rest Sauerstoffs der in der schweren Atmosphäre noch geblieben war. Auf den Trottoir beiderseits der Straße sieht man nur alte Leute. Manche diskutieren laut miteinander. Manche laufen nur gebeugt von Alter und Sorgen vorbei.

In Supermarket angekommen, treffe ich auch dort nur alte Menschen an. Ausnahme ist eine Großmutter mit einem kleinen Mädchen an der Hand. Ich suche schnell meine Sachen zusammen und stelle mich an der Kasse in die Reihe. Schon lange werden in diesem Laden keine Einkaufswagen gebraucht. Für die paar unbedingt notwendige Lebensmittel reicht ein Korb. Das kleine Mädchen bettelt um eine Süßigkeit. Großmutter zählt ihr Geld und stellt fest, dass es nicht reicht. Sie versucht es der Kleinen zu erklären. Die kleine besteht aber auf ihrem Wunsch und weint. Die Kassiererin versucht zu helfen und sucht in dem Regal an der Kasse etwas zu finden, was die Großmutter zahlen könnte. Alle drei einigen sich und die Kleine lächelt wieder. In der Hand hält sie ein Päckchen Kaugummi. Auch die Großmutter ist zufrieden. Schnell sammelt sie ihren Einkauf und die Kleine an der Hand geht sie hinkend aus dem Laden. Es ist nicht leicht in dem Alter ein kleines Kind großzuziehen.  Dennoch verabschiedet sie sich lächelnd von den Ladenangestellten. Sie kennen sich und es bedeutet vielen Menschen wie ihr die einzige Abwechslung in ihrem Alltag.

Vor mir zahlt an der Kasse ein alter Mann. Ein Päckchen Linsen. Er zählt der Kassiererin die Münzen ab mit der Bemerkung, dass dies sein Mittagessen wird für heute, Morgen und übermorgen. Es ist Ende Monat und die Rente kam noch nicht. Die Kassiererin nickt nur ernst. Sie weiß es. Allzu oft hört sie gleiches vielmals am Tag.

Ich zahle schnell für meinen Einkauf, sammle es in meine Tasche und laufe langsam den Berg hinunter. Vor mir schreitet auch langsam der alte Mann mit seinen Linsen. Gebeugt läuft er seinen weg vorsichtig, den die alten Steinplatten sind von Regen und Zeit unterspült und wackeln gefährlich unter unseren Füssen. Plötzlich bleibt er stehen. Beinahe hätte ich ihn gerammt. Ich schaue verwundert, was ihn dazu veranlasste. Über seinem Kopf hängt ein großer Busch von Jasmin. Es duftet herrlich. Mit der freien Hand pflückt er eine einzelne Blüte. Er riecht daran. Eine Verwandlung ist mit ihm geschehen! Sein gebeugter Rücken streckt sich, sein Schritt wird sicherer und schneller.  Was hat der Duft bewirkt? Haben Erinnerungen an bessere Zeiten geweckt, hat die trübe Laune verjagt? Wer weiß? Auf jeden Fall ist es ein Glück, dass auf den Straßen unseres Viertels  Jasmin blüht.

 

 

 Die andere Seite der Münze.

Wir sitzen im Kaffee im Plazza Hotel auf den Syntagma Platz in Athen. Es ist gemütlich da in der Wärme. Draussen ist es bitterkalt. Es bläst ein eisiger Wind. Wer hätte das gedacht, dass es hier so kalt sein kann. Griechenland bedeutet für uns Nordeuropäer Sonne und Meer. Langsam wärmen wir uns auf und bei einer Tasse Cappuccino warten wir auf unsere Freunde. Sie kommen auch bald in ähnlichen halbunterkühlten Verfassung wie wir vorher. Nachdem auch sie etwas wärmendes bestellt hatten, vertiefen wir uns in unsere Diskussion über die Vorbereitung eines Seminars über die Nutzung der Heilbäder auf den griechischen Inseln.

Die Atmosphäre im Raum ist sehr angenehm, es ist ruhig da. Alle Anwesenden unterhalten sich leise und auch die Bedienung ist sehr diskret. Wir kommen sehr gut vorwärts. Bald ist alles abgemacht und wir fangen an zu diskutieren über die Erlebnisse von vergangenem Sommer aus einem Vortrag mehrerer Wissenschaftler zu gleichem Thema auf der Insel Ikaria. Blitzartig erscheinen vor meinem geistigen Auge Schlauchboote vollgeladen mit Flüchtlingen. Auch das geschah im vergangenem Sommer. Ikaria ist zwar verschont geblieben, aber die benachbarte Insel Samos traf es umso härter. Meine Gedanken schweifen von der Diskussion ab, ich sehe nur die Berge der roten Schwimmwesten verteilt auf dem steinigen Meeresufer. Ich komme in meinen Gedanken nicht weiter. Etwas geschieht um uns. Ein komischer Lärm. Anfangs sehen wir nicht woher es kommt. Dann wird allmählich dunkel um uns. Wir haben keine Zeit Angst zu bekommen. Die Lichter gehen an. Ich begreife sofort. Das waren die Rollladen an der Gläsernen Fensterfront. Die grossen Fenster welche vorher den Raum so freundlich und hell gemacht hatten, wurden jetzt fest verschlossen mit starken eisernen Rollladen und dies hatte die Dunkelheit verursacht. Der Raum wurde augenblicklich, trotz dem angeschaltetem Licht, eng, düster, stickig, blind. So sieht es sicher aus in einem Luftschutz Keller. Ich denke: «Wieder eine Demonstration» Die Hotels um diesen Berühmten Platz müssen sich oft schützen. So mancher Stein hat schon in ihren Fenstern gelandet. Meine Erklärung für das Geschehen erzähle ich meinen Freunden. Diese haben es auch nach einer Weile bestätigt bekommen von der Bedienung des Kaffee. «Kommt oft hier vor.» Sagen sie lakonisch. Wenn es vorbei ist, fahren die Rollladen wieder hoch. «Vorbei?» Denke ich. «Das geht nicht so schnell vorbei!» Die Menschen, die da draussen demonstrieren, die haben Hunger und sind wütend, weil sie getäuscht wurden. «Das geht nicht vorbei!» Es weht ein eisiger Wind da draussen und wir sitzen hier in der Wärme in einem hellen Raum und diskutieren. Kein Wunder das es Emotionen erweckt. Gut, dass die Rollladen das versteckt hatten, was für die da draussen unerreichbar war. Die andere Seite der Münze.

 

 

Die glückbringende Kellerwohnung.

Die Straße ist sehr schmal, der Gehsteig noch schmaler und uneben. Hie und da ein paar Treppen Tritte, da die Straße sehr steil nach unten sinkt. Es ist Heiß, stickig. Ich bin froh, dass der steile Weg nachunten mich schnell zu meinem Ziel befördert. Ich wollte nur schnell etwas einkaufen auf dem Platz, der am unteren Ende der Straße lag. Im Laden war es schön kühl. Am liebsten wäre ich gar nicht weggegangen. Als ich dann herauskam, bedauerte ich sofort meine „heroische“ Entscheidung. Die Hitze raubte mir fast den Atem. „Und der Weg die steile Straße nach oben und mit den Kommissionen in der Hand? Schwierig! Einzige Möglichkeit, ich beschäftige meine Gedanken, und ablenke mich so von dem beschwerlichen Aufstieg.“

Während ich so vor mich trample, sehe mir die Umgebung besser an. Alte, zerfallende Mehrfamilienhäuser, mit imposanten Eingangstüren und übermäßig hohen Fenstern. Galt seiner Zeit als sie gebaut wurden als aristokratisch. Ganz unten, mit der Straße bündig immer eine oder zwei Kellerwohnungen… früher für das „dienst Personal“. Die neuere Häuser haben an dieser Stelle meist eine Garage oder zumindest einige Einstellplätze. «Bringt wahrscheinlich auch größere Einnahmen“ dachte ich dazu giftig. Wie ich so an einer solchen Kellerwohnung vorbei schreite, sind die Fensterladen offen und ich sehe hinein.

Der Boden der Wohnung ist nicht ebenbürtig mit der Straße, sondern tief darunter, in der Erde. Feuchte stickige Luft weht mir entgegen. Direkt unter dem offenen Fenster steht ein Feldbett. Darauf auf farbigen Betttüchern liegt bäuchlings ein Kind und blättert in einem Buch. Aus der Wohnung klingt eine fremdartige Musik. Albaner. Denke ich mir. Zu tausenden sind sie vor nicht allzu langer Zeit zu uns gekommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. In welchen Verhältnissen sie wohl vorher leben mussten, damit ihnen das Leben in solcher Kellerwohnung besser erscheint? Und viele sind noch sehr froh darüber. Ich denke an die Hunderte Menschen, welche sich auf den verschiedenen Plätzen der Stadt drängen auf der Suche nach einer Arbeit, welche ihnen dann eine Möglichkeit geben würde, eben eine solche Wohnung zu beziehen. Eine Wohnung mit Küche und Bad um etwas Menschenwürdiger die Familie unterzubringen. Die Kinder in die Schule schicken zu können, die Sprache so schnell wie möglich zu lernen. Viele, ganz viele brachten es fertig. Ja in diesen kleinen, stickigen Wohnungen. Ihre Kinder lernten die Sprache viel schneller als die Eltern. In ein paar Jahren konnte man sie von den Einheimischen Kindern kaum unterscheiden. Ja sogar wurden sie zu ausgezeichneten Schülern und durch die Hingabe der Eltern welche ihnen mit opfern die Möglichkeiten schafften, entwickelten und förderten sie ihre Talente. Sie studierten, bekamen gute  Arbeitsplätze im Land oder außerhalb. Auch ihre Eltern haben sich in der Gesellschaft integriert und wurden geachtete Nachbarn, Handwerker, Geschäftsleute, Unternehmer. Sie verließen die kleine stickige Wohnung, die sie in der Not beherbergte, ihnen Halt gab und die Basis wurde zu ihrem Aufstieg.

Jahre vergehen. Die Krise kommt. Viele von den nun Erfolgreichen Einwanderern wandern wieder zurück in ihre Heimatländer. Wurden sie dort glücklicher? Und ihre Kinder? Wer weiß? Die Kellerwohnungen sind verlassen und nicht nur diese. Auch die Wohnungen darüber. Die verstaubten geschlossenen Fensterladen zeugen davon. Vor den imposanten Haustüren tummeln sich Katzen. Die Straße ist still, kein Mensch, keine Musik. Es ist Heiß.

Ich laufe langsam meinen mühsamen Weg hinauf an ebenso einer Kellerwohnung vorbei. Das Fenster ist offen. Auf dem Feldbett auf den farbigen Bettlaken liegt jetzt ein anderes Kind und blättert in einem Buch. Sein Aufstieg fängt erst an. Möge auch für dieses Kind und seine Familie diese Kellerwohnung Glück und Erfolg bringen!.  

 

 

 

Die Tretmühle der Welt.

Taxi! Taxi! Der Wagen hält an. Der Fahrer steigt aus, grüsst und lädt den Koffer auf. Wir steigen ein und sagen die Adresse unseres Ziels. Der Bahnhof. Der Taxifahrer fragt höflich, ob es uns im Ort gefallen hatte und ob wir Touristen wären. Wir wiederum fragten ihn, woher er käme, da wir seine fremdländische Aussprache bemerkt hatten. „Libanon“ klang die Antwort. „Ich bin schon 30Jahre hier.“ Sagte er stolz. Ja, wir erinnerten uns. Damals vor 30 Jahren. Da war doch Krieg in Libanon. Viele Menschen sind geflüchtet. Die wunderschöne Hauptstadt des Landes lag in Trümmern. Was nicht zerbombt wurde, verschlang das Feuer. Wer die Mittel dazu hatte, überquerte das Mittelmeer. Dort am anderen Ufer, suchten sie ihre Rettung, ein neues Leben, Ruhe und Sicherheit für sich und ihre Familien.

Italien, Griechenland, Österreich, Deutschland, Holland und weiter nach Norden zerstreuten sie sich und fassten Fuss. Wer weiss? Sicher wollten nicht alle bleiben. Sie hofften sicher nach Ende des Krieges zurückgehen zu können. Es ist nicht leicht so viele Jahre fern zu bleiben von ihrer sonnigen Heimat! Die alltags Sorgen aber lassen die Rückkehr immer weiter zu vertagen an einen anderen sichereren Zeitpunkt. Die Jahre vergehen und reihen sich aneinander wie die Perlen an einem engen Halsband: Schön, aber eng. Das Heimweh. Angst vor der Entscheidung. Die Kinder sind hier groß geworden. Das hier ist ihre Heimat. Das andere kennen sie nicht. Die Eltern sehnen sich nach der Sonne ihrer Heimat. Sie überlegen sich, selbst zu gehen. Nur den Zeitpunkt haben sie noch nicht festgelegt. Vielleicht nach dem sie in die Rente gehen?

Und dann, die Nachricht. In ihrer so schönen Heimatstadt fallen wieder Schüsse. Nach 30 Jahren müssen die Menschen fürchten, dass alles, was sie in diesen vergangenen 30 Jahren wieder aufgebaut hatten, in kürzesten Zeit erneut zu Trümmern wird? Die Träume wurden zunichte gemacht. Der Taxifahrer nickt mit dem Kopf. Was sind schon die Träume! Aber stellen sie sich vor die Menschen, welche vor einigen Jahren zurückgegangen sind. Sie hofften endlich am Ziel zu sein. Wieder zurück, Daheim! Die lange Reise zu einem friedlichen Leben wäre zu Ende.  „Was meinen sie? Ist dieses Ende bloß der Anfang eines neuen Flüchtlings Daseins?“

 

 

 

Der letzte Schnee.

Ja. Dieses Jahr hofften wir den eigentlich nicht mehr zu sehen. Als wir dann aber am Morgen erwachten und aus dem Fenster sahen, irgendwie freuten wir uns doch. Nach dem täglichem Halbfinster letzter Woche, erfüllte uns das Licht der weissen Pracht mit belebenden Freude. Es zog uns hinaus. Wir wollten nochmals das knistern des frischgefallenem  Schnee unter unseren Schuhen spüren.

Aus dem Hof hörten wir fröhliche Rufe Kinder wie Erwachsenen. Da schauten wir ihnen zu. Vor dem Haus war eine kleine Wiese mit einem milden Abhang. Geniale Piste zum Schlitten fahren lernen für kleine Kinder. Kleine Kinder? Nicht nur. Eine ganze Familie hatte da einen riesen Spass. Keine Schlitten. Vielleicht besassen sie gar keinen. Dafür aber erfinderischen Geist und das Verlangen den Spass mit so vielen Schnee zu geniessen. In den Händen hielten sie jeweils einen 35l Mist Sack. Diesen hielten sie an der Zurkordel, breiteten diesen vor sich am Rand des Abhangs in den Schnee, setzten sich rittlings darauf, auf die Knie nahmen sie eines von den kleinen Kindern, gaben ein bisschen an mit den Füssen… und Huiiii¨! Sie rutschten herunter unter Freudenschreie aller Anwesenden. Die sind natürlich neidisch gewesen und bald erschienen auch weitere Mistsäcke, so, dass alle, sogar der Grossvater diesen Spass geniessen konnte.

Auch wir hielten es nicht mehr drinnen aus. Natürlich nicht um auch den Abhang hinunter zu rutschen. Dafür übertrafen wir den fitten Grossvater da draussen in Jahren, und keineswegs in Beweglichkeit. Anstatt dessen liefen wir unseren gewöhnten Weg, welcher dennoch ganz anderes aussah mit dieser dicken weissen Pracht. Der Weg führte entlang eines kleinen Flusses, welcher von der Seite zum Wasser abgegrenzt war mit einem eisernen Gelände. Auch darauf lag sicher 10cm Schnee. Eigentlich habe ich mich gewundert, wie hatte sich der Schnee so schön darauf gestapelt ohne seitwärts abzurutschen.

Wie wir so gelaufen waren, die Natur in dieser vergänglichen Pracht bewundernd, sahen wir vor uns einen alten Mann schreiten. Auch er wählte diesen Weg für seinen Spaziergang. Der Schnee hatte plötzlich eine magische Wirkung auf ihn. Anstatt wie wir zu es bewundern, hielt er es nicht aus. Ein kleiner Junge ist in ihm erwacht. Er fuhr mit der behandschuhten Hand auf dem Gelände entlang, sammelte den Schnee, bildete eine Kugel und warf diese gezielt in den Strom des Flusses. Und noch eine, und noch eine. Bis zum Ende des Geländes. Sein Schritt wurde elastischer, er lief plötzlich aufrechter, jünger. Der Spitzbübischer Junge ist in ihm stecken geblieben.

 

 

 

Die Definition des Glücks.

Die Morgenluft ist angenehm. Noch ist es nicht so heiss. Der Verkehr auf der Strasse wird langsam hektischer. Beim Bäcker hat sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Es duftet nach frischgebackenem Brot und Sesamkringel die ich in dieser Stadt so liebe. Nach dem ich ein paar von diesen kaufte, laufe ich gemütlich den Berg wieder hinauf.

Da sehe ich an meiner Strassenseite ein altes havariertes Auto. Seine Motorhaube war eingedruckt und die Schutz Stange hing kläglich verformt herunter. Kein Nummernschild war zu sehen. Noch bevor ich mir Gedanken machen konnte nach dem Schicksal der Insassen des Autos, sah ich durch die offene Tür des Wagens einen alten Mann drinnen sitzen. Dieser sah sehr verwahrlost, aber glücklich aus. Gemütlich kaute er an seinem Sesamkringel und trank Wasser aus einer Plastikflasche. Auf dem Hintersitz des Autos waren Decken ausgebreitet, sein gerade verlassenes Bett.

Manche vorbeilaufenden Menschen grüssten ihn, er grüsste zurück. Sie kannten ihn. Er war ihr Nachbar. Der gute Bäcker versorgte ihn mit Brot und Wasser, er hatte eine Bleibe, die Nachbarn gaben ihm sicher was er sonst noch brauchte, was wollte er mehr?

Ja. In diesem Augenblick. Wir wissen ja: Glück ist ein Augenblick. Zufriedenheit ein Zustand. Stimmt es? Wahrscheinlich schon.  Ich überlege: was hat dieser Mensch an Leid schon erlebt, damit sein Leben reduziert auf das absolut nötigste: Essen und ein «Dach über dem Kopf» diese momentane Empfindung des Glücks auslösen kann? Wie lange kann dieser Zustand bleiben, damit er Zufriedenheit garantiert? Wie viele solche «Glückliche Autos es in den Strassen Athens gibt? Ich bin fast vor meiner Haustür angekommen. Durch die frequentierte Strasse rasen mit Lärm ununterbrochen Autos, Lastwagen, Busse, Motorräder. Eilende Menschen gehen vorbei, jeder seiner Beschäftigung nach, schwer belastet durch die Sorgen des Alltags. Alle streben nach diesem kleinen Augenblick, welchen sie dann zum Zustand halten möchten. Ob auch dieses Streben danach ein anderes Gefühl hervorruft? «Hoffnung»