Der Schlüssel zu einem verlorenen Zuhause.

 In einer Kunstausstellung vor einem Jahr, stand ich plötzlich in einem Raum, welcher voll verschiedener Schlüssel war. Schlüssel hingen auf den Wänden, lagen am Boden, auch in verschiedenen Kisten, stehenden herum, lagen sie haufenweise. Die meisten rostig, manche aufgehängt auf einer Schnur, manche los. Ich stand da und fragte mich, wie das zu Kunst passen sollte.

 Da kam der Direktor der Ausstellung und erzählte. Er erklärte auch den Text der Aufschrift auf der Wand, welche man anfangs gar nicht beachtete. «Das sind Schlüssel, welche Menschen mit sich trugen, nach dem sie aus ihrer Häuser, ihrer Heimat weggejagt wurden. Speziell diese, der Menschen, welche von der Türkischen Nationalistischen Garden von Ataturk, auf grausamer Art und Weise vor fast 100 Jahren ausgesiedelt waren. Sie haben niemals glauben können, dass sie nie wieder Ihr Haus und Hab und Gut sehen werden. Sie hatten die Schlüssel wie ein kostbares Gut aufbewahrt und manchmal auf der Brust umgehängt gehütet wie eine greifbare Hoffnung, die niemals in Erfüllung ging.

» 100 Jahre sind seit damals vergangen. Ich stand in dem Raum, der Schmerz der Sehnsucht war plötzlich greifbar. Es drohte mich zu erdrücken. Auch meine Familie war davon gezeichnet. Nur wussten wir so wenig von dieser Tragödie. Den Schmerz des Verlustes und der Hoffnung des Rückkehrs trug jeder für sich still und geduldig in Form des Schlüssels. Ich flüchtete zu den anderen Bildern, die meisten wunderschön waren und die Bewunderung für die wunderschöne Natur um uns herum ausdrückten. Die Traurigkeit aus dem Schlüsselzimmer aber, hat sich mir ins Bewusstsein eingeprägt.

 Sie sass da, wie eine Warnung. Das ist bereits vor 50 Jahren wieder passiert! Das passiert jetzt gerade im Nahen Osten, und an unzähligen anderen Orten wieder. Das wird wieder passieren! Ich sehe vor mir wieder eine Frau mit einem Schlüssel in der Hand. Sie zeigt den Schlüssel und sagt; Das ist der Schlüssel zu meinem Zuhause. Wann kann ich wieder dahin zurückkehren? Wird es noch stehen?... Woher kommt dieses Bild? Aus Gaza, Ukraine, Irak, Libanon, Syrien, Venezuela, Nigeria??? Das ist aber nur die Geschichte des Raums der Ausstellung. Die ist sichtbar.

 Es gibt aber eine andere Geschichte, die sieht man nicht, schmerzt aber um so mehr.

Jedes Flüchtlingskind, jedes Auswandererkind, jeder junge Mensch, welcher nicht selbst entscheiden konnte, über das Verlassen seines Zuhause, seiner Heimat, hat so ein «Schlüssel Raum» in seiner Seele. Eine zerrissene Kindheit. Verlorene Freunde, Schule, Spiele, Ruhige angenehme Ecke seines Zuhause, sein Familienumfeld, vertraute Gewohnheiten, das alles, was bis zum Punkt des Risses in sein bisheriges Leben, sein Alltag bedeutete, war weg. Es ist gleichgültig, was diesen Ris verursachte, ob es Krieg war, Scheidung der Eltern, Auswanderung der Familie, das spielt keine Rolle. Es geschah gegen dem Willen des Kindes, abrupt und gewaltsam.

Das neue wird nie mehr akzeptiert, auch wenn es als Verbesserung präsentiert wird. Die Erinnerung an das Gewesene, wird schon durch die Augen des Kindes, welches es zur Zeit des Risses in Erinnerung blieb, veridealisiert. Die nahende Katastrophe, haben die Kinder nicht nahen gesehen, dadurch wurden sie nicht gewarnt und so nicht vorbereitet. Das aber erschwerte die Anpassung des jungen Menschen an die neue Umgebung und neue Verhältnisse seines Lebens.

Nur langsam gab es auf, die Verweigerung, eine neue Sprache zu lernen, neue Freunde zu akzeptieren oder auch die anfänglichen Anfeindungen, da auch diese vor etwas neuem, jemanden unbekannten stand. Ja, es handelt sich um junge Menschen, da nimmt man an, die haben die psychische kraft und Wendigkeit, das alles zu überwinden, sich anpassen und ihr Leben weiter zu führen in den neuen Verhältnissen, sogar etwas Besseres daraus zu machen, dank dem vermeintlichen Wechsel zum «Besseren». Mag sein. Manchmal ist es wirklich so.

 Aber, hat man sich je überlegt welch ein Weg dazu führte? Wieviel Leid und was für Verluste von zerstörten jungen Seelen die einige Helden diesen Haufen Elend krönten? Und wenn sie diese grossartigen Helden ob in Sport, Politik oder Wissenschaft fragen, werden sie erfahren, dass auch sie in ihrer Seele so einen Schlüsselraum des verlorenen Zuhause tragen. «Damals, bei uns Daheim, in meiner Heimat, da war alles viel schöner. Das Essen schmeckte besser, die Menschen waren freundlicher, das Wetter angenehmer" Mancher brummt dann gereizt zurück: "Dann geh dahin doch zurück, wenn es dir hier nicht gefällt!" "Geht aber nicht. Dorthin gehöre ich aber auch nicht mehr. Nur den Schlüssel von dort, den habe ich immer noch, und ist auch nur das, was nie verloren geht."