Spuren = Geschehnisse

Als ich ein Niemand war

Als ich ein Niemand war.

Gibt es das? Sicher. Millionenfach. Das wissen wir heute. Das sind die Flüchtlinge, die in der verzweifelten Suche nach besseren Zukunft in einem fremden Land, ihre wahre Identität wegwerfen, damit sie auf diese Weise ihre Rückführung verhindern, oder zumindest erschweren können. Das ist Heute. Wie war es früher?

Da brauchte man hingegen die eigene Identität um das Asylverfahren untermauern zu können. Man kam als Verfolgter aus einem Land, dessen Regime lebensbedrohlich für den Flüchtenden war. Damit der Flüchtling von seinem Land bestraft wurde, entzog man ihm seine Staatsangehörigkeit, nach dem er das Land verlassen hatte und sich auf dieser Weise seiner Verfolgung entzog. Die feindliche Behörde bezweckte damit das Verunmöglichen einer Aufnahme des Flüchtlings in irgendeinem anderen Land. „Der Eiserne Vorhang“- nannte man es. Wenn es gelang diesen zu überwinden und herauszuschlüpfen, war man draußen plötzlich- ein Niemand.

Dass dies auch auf Politischer Ebene möglich war, wusste kaum jemand damals. Auch ich nicht. Meistens handelte es sich um bekannte unbequeme Bürger, deren Verfolgung in Ausland Aufsehen erregte und diese dann Gegenstand verschiedener Politischen und Diplomatischen Handel zwischen den verschiedenen Ländern wurden. Das Land, in welches der nun Flüchtling geflüchtet war, oder abgeschoben wurde, musste für seine Aufnahme bürgen und ihm entweder Asyl oder eine Aufenthaltsbewilligung gewähren. Das Heimatland entzog dem Flüchtling seine Staatsangehörigkeit, in Folge dessen dieser im Gastland als „Staatenlos“ aufgenommen werden musste. Da es Gegenstand beidseitigen Vereinbarung war, ist dieser Mensch eigentlich in dem Gastland gefangen gewesen. Außerhalb der Grenze des Gastlandes, war er ein Niemand und kein anderes Land würde einen Niemand aufnehmen. Dieser Niemand durfte zwar in dem Gastland bleiben, stand aber unter Beobachtung und seine Aufenthaltsbewilligung war immer sehr kurzfristig bemessen und musste immer wieder erneuert werden, was natürlich kostete. Arbeit zu finden war sehr schwer und man hatte praktisch keine Rechte. Man war ein Niemand, zumindest für die Dauer, bis man nach entsprechenden Jahren und "guten Benehmens“ die neue Staatsangehörigkeit erlangte. Ohne Staatsangehörigkeit durfte man nicht im Staatsdienst arbeiten. Man fand Arbeit nur in Privatwirtschaft und diese war schlecht bezahlt, man arbeitete nur in untergeordneter Position trotz besserer Qualifikation. Meist war diese Arbeit nicht versichert und es passierte oft, dass der Angestellte zum Schluss nicht bezahlt wurde. Man war ein Niemand, ohne Rechte und wehrlos. Manchmal waren die Lebensbedingungen dieser Menschen sogar schlechter als in dem Land, aus welchem sie geflüchtet waren. Oft überlegte man sich: „war es überhaupt wert? Was habe ich gewonnen?“

Die mühsamen Stufen zum Aufstieg von einem Niemand zu sein, bis zu einer neuen Identität und Staatsangehörigkeit:

Anmelden…Papierkrieg

Sprache

Unterkunft

Arbeit…Studium

Freunde

Heimweh

Kulturdifferenz

Bis zu dem Status: Integriert

Zu sein, oder integriert sein zu wollen? Und dann?

Zurück zu Besuch in seinem früheren Heimatland ist man dort ein Fremder geworden. Falls man zurückkehren will, bis auf die Sprache, die man wahrscheinlich nicht vergessen hatte, müsste man wieder alle übrigen Mühen und Leiden über sich ergehen lassen. Die Kinder? Die würden wahrscheinlich in ihrer Heimat bleiben wollen und eine Rückkehr als „Ausländer“ in die alte Heimat der Eltern ablehnen. Folge: Menschen, die ihre Heimat ob freiwillig oder nicht verlassen um ein neues Leben woanders aufbauen zu können, reißen ihn Herz in zwei. Diese Wunde heilt nie. Es sind Menschen, die das Glück gesucht haben, es vielleicht fanden, trotz dem aber ihr Leben lang leiden.

Wie ein Schema zur Veranschaulichung all dessen : Ein Fensterblick in meine Erinnerungen.

19 Jahre alt sitze ich mit meiner Mutter und meinen 2 Schwestern in einem Zugabteil. Es ist März 1965, tiefen Winter. Nach einer Reise die ganze Nacht hindurch, nähern wir uns der Slowakisch ungarischen Grenze. Es war noch dunkel als der Zug anhielt. Gewisse Reisende waren an der vorherigen Station ausgestiegen. Wir blieben, saßen da gespannt und nervös. Was wird jetzt kommen? Quietschend fuhr der Zug auf eine Rampe. Ein Flutlicht wurde eingeschaltet. Erschrocken schlossen wir die Augen damit wir uns an das viele Licht gewöhnen können. Mir gepolter sind die Wagons Türen aufgegangen und mit lauten Rufen kamen die Zöllner beider Länder hinein. Diese haben mit strenger Miene die Papiere verlangt. Meine Mutter hatte sie schon bereit und reichte sie ihnen. Es waren bloß A4 Format Papiere, mit jeweils unseren Foto darauf und Identität Angabe. Darunter drei Reihen Kästchen mit Durchgangs Visa der Länder, welche wir die Erlaubnis hatten durchqueren bis wir in das Land gelangten, welches bereit war uns aufzunehmen. Voll Spannung sahen wir die Zöllner unsere Papiere und uns zu untersuchen. Dann gaben sie sich damit zufrieden und dann mussten wir fast lachen. Von den Zöllner jedes Landes hatte immer einer auf dem Rücken ein Tischchen. Der Mann drehte sich um und der andere Zöllner legte die Papiere darauf, zog aus einer Tasche seine viele große und kleine Stempel und stempelte diese mit solcher Kraft ab, dass dem armen Tischchen Mann die Knie einknickten. So, das war die erste Grenze. Das Flutlicht ging nach einiger Zeit aus, die Zöllner stiegen aus und der Zug, nach dem man noch einige Wagen angehängt hatte, setzte sich wieder in Bewegung.

Ungarn. Wir fuhren durch unendliche Weiten flachen Landes, fuhren an kleinen Dörfern vorbei, an Städte kann ich mich nicht erinnern, vielleicht schlief ich da gerade. Das Abteil war eng, der Zug voll und schlecht gelüftet. Das Bild aus den Fenstern immer gleich Schwarz und Weiß. Es war noch März Auf den Feldern lag Schnee, stellenweise schien die schwarze Erde hindurch. Zweiter Tag der Reise. Die Jugoslawische Grenze. Gleiche Prozedur mit Flutlicht, Zoll und Polizeikontrolle, die Stempeltischen auf dem Rücken der Zöllner. Unsere Füße passten nicht mehr in unsere Schuhe. Von ewigen sitzen schwollen sie an. Belgrad. Ein schöner Bahnhof… leer, war auch 2 Uhr in der Nacht. Da standen wir auf dem Bahnstieg mit unseren Koffern, frierend, todmüde, niemand in der Sicht. Meine kleine Schwester fror, hatte Fieber und hüstelte leise vor sich hin. Unsere Mutter ging auf die Suche. Bis nächsten Tag Nachmittag, wo wir den nächsten Zug nehmen konnten, brauchten wir ein Hotel. Sie kam mit einem Taxifahrer, der uns half und brachte uns in das nächste Hotel. Er würde uns zu vereinbarten Zeit wieder zurückbringen… ein leuchte Moment auf unserer Reise. In einem Zweibettzimmer fielen wir alle vier auf das Bett so wie wir waren. Es schien uns, als ob wir gerade eingeschlafen waren, als wir aus dem Schlaf gerissen wurden um wieder auf die Reise zu gehen. Das Taxi brachte uns zum Bahnhof. Immer noch leer. Die Mutter suchte nach einem Beamten um zu erfahren, wann der Zug nach Thessaloniki käme. Bahnhofbeamten fand sie, aber dieser war par tu nicht gewillt, sich auf einer anderen Sprache verständigen zu wollen als nur die seine. Meine Mutter versuchte es auf deren sieben die sie beherrschte, die seine war aber leider nicht dabei. So saßen wir also weiter auf den Koffern, irgendwie gestrandet in Jugoslawien.

Nach einigen Stunden kam dann der Zug völlig außer Plan, aber er kam. Im Zug war auch ein Angestellter der Griechischen Botschaft, welcher uns mit unserer Ausreise geholfen hatte. Ab da war unsere Reise angenehmer, Die kleine Schwester die krank war durfte mit ihnen in der ersten Klasse reisen und wir kamen zurück in unserem Abteil. Die Reise ging weiter, einige Zeit warteten wir im Bahnhof von Skopje. Neugierig schauten wir hinaus. Der Bahnhof war verlassen, von der Zerstörung von dem vergangenem Erdbeben war nicht zu sehen, der Bahnhof befand sich wohl etwas entfernt von der Stadt. Dann ging es weiter, bis zur Griechischen Grenze. Der erste angenehme Eindruck. Vergesse ich nie mehr! Die Grenzstation, ein kleines weißes Häuschen mit einer blühenden Rosenpergola am Eingang. Angenehme lächelnde Beamte: wohl beeinflusst durch den Bootschafts angestellten. Bauer, welche wunderbaren Joghurt mit Honig und duftendes frischgebackenes weiches weißes Brot an uns verkauften. Als ob man in eine ganz andere Jahreszeit hinein kam. Von tiefen Winter, in den Frühling. War sicher Zufall, weil auch in Griechenland es im März recht eisig kalt werden kann, vor allem im Norden. Dann ging es weiter. Spät am Mittag fuhren wir in Thessaloniki an, dort warteten wir wieder einige Zeit. Das erwähne ich nur, weil ich dieses beeindruckende Panorama der Stadt, welche sicher wunderschön ist, und ich es seit damals nie mehr direkt gesehen habe, jetzt noch, nach genau 50 Jahren genauso vor meinen Augen habe. Ab da haben wir uns alle in dem Abteil der 1.Klasse gesammelt und sind zusammen in Athen angekommen. Da wurden wir von den Verwandten erwartet, in Empfang genommen… und unsere Reise ins Ungewisse war zu Ende.

Das Leben als ein Niemand, das hatte aber erst begonnen.

Nach allen den Begrüßungen durch unsere Verwandten… es waren ihrer viele…und dem anschließendem Essen bei der Tante, wurden wir in unsere neue Wohnung gebracht. Die Wohnung hatte die Tante für uns gemietet und notdürftig eingerichtet. Die Miete würde sie die erste Zeit für uns bezahlen, bis unsere Mutter- ihre Schwester- Arbeit gefunden hätte und dies selbst zahlen könnte. Klar sind wir mit kleinen Ersparnissen gekommen, aber diese würden gerade für die Ausgaben der ersten Zeit ausreichen. Schließlich waren wir 4 Personen Haushalt.

                                                         2.Das neue Leben in unbekanntem Land.

Die ersten Eindrücke sind sicher maßgebend… aber nicht für lange. Eine herzliche Aufnahme bei der Tante Zuhause. Das gute Essen in feierlicher Stimmung. Erleichterung. Endlich am Ende unserer Reise. Das waren die guten Eindrücke. Von da an Kommt in etwa die Ernüchterung, die ich vor habe mit „Blitz Einsichten“ zu beschreiben so, wie sie sich aneinander reihten und die meiner Ansicht nach, allgemein gültig sind für die Mehrheit der „Endlich angekommenen“ Flüchtlingen.

Erster Schock; die Sprache. Plötzlich sitzt Du… eigentlich im Familienkreis… und um Dich herum sprechen alle eine Sprache, die Du überhaupt nicht verstehst. Der Onkel versucht es auf Englisch, wir hatten in der Schule als Fremdsprache Russisch. Zum Glück sprach die Tante etwas Russisch, da die Großmutter Russin war. Sie erklärte uns, dass die kleine Schwester bei ihr bleibt, damit der Arzt sie sehen kommt, sie hatte hohes Fieber, wie sich dann herausstellte, hatte sie eine Lungenentzündung. Uns hat der Onkel in unsere neue Wohnung gebracht, die sich im gleichen Quartier der Stadt befand, aber in einer Arbeiter Gegend war. Sie befand sich im Untergeschoss eines zweistöckigen Hauses. Das Haus war im Neuklassikstiel gebaut, das heißt große hohe Fenster, Türen und Decken. Das erwähne ich, weil es einen Grund dafür gibt. Die Wohnung war eine schöne zwei Zimmer Wohnung mit Marmor Böden, mit einer geräumigen Küche. Die Wohnung war praktisch leer, es standen da lediglich vier Feldbetten, in der Küche ein Klapptisch und vier Klappstühle. Das nötige Gerät zum Essen war auch da ebenso etwas Vorrat. Die Wohnung war eiskalt. Der Onkel zeigte uns wie wir die zwei sich dort befundene Heizstrahler vom Raum zu Raum tragen können und da sie mit Strom betrieben waren, wir aufpassen mussten, dass wir die Sicherungen nicht überlasten. Nach dem wir uns bedankten, ging er. Trotz der Kälte und Müdigkeit, empfanden wir Freude und Erleichterung am Ende unserer Reise angekommen zu sein. Unser selbständiges Leben sollte anfangen. Am einen einfachen Gaskocher in der Küche kochte uns die Mutter einen Tee und erzählte uns, wie sich von da an unser Leben gestalten würde. Nicht leicht für uns alle, auch für sie. Sie musste so schnell wie möglich eine Arbeit finden. Da sie die Sprache beherrschte und die Verwandten helfen würden durch ihre Bekannten wiederum, vielleicht das Einfachste. Die ältere Schwester sollte schnell die Sprache lernen und währenddessen stundenweise als Zeichnerin in einem Architekturbüro arbeiten. Auch das war schon abgemacht. Wir zwei jüngeren sollten vorläufig daheim bleiben und uns irgendwie bemühen, die Sprache zu lernen. Wie? Großes Fragezeichen. Die Trennung von allem, was uns bekannt und lieb war und dann die Reise selbst und auch die Ankunft mit all den Eindrücken, wir waren erschöpft. Und dann ?

Endlich wieder in der Geborgenheit einer Wohnung. Kein rumpeln der Räder unter unseren Füssen, kein Koffer schleppen, keine Papiere Zeigen, fürchten, dass etwas nicht in Ordnung wäre. Ruhe, absolute Ruhe. Man legte sich auf das Feldbett und konnte sich endlich strecken. Die von tagelangem sitzen im Zugabteil geschwollene Füße, schwollen wieder ab. Man konnte wieder duschen, Essen selbst zubereiten, keine alten Sandwiches mehr, kein abgestandenes Wasser trinken müssen. Einfach Ruhe. Richtiger Balsam für die Seele und Körper. Ein Tag, zwei, eine Woche? Was weiter?

Nächstes Bild:                                                                                                                                                                                    Man tastete langsam die nähere Umgebung ab. Die Wohnung war ungewohnt kalt. Das Haus alt, die Decken hoch, die zwei kleine elektrische Strahler vermochten die Kälte und die Feuchtigkeit nicht verjagen. Gewöhnt an die Zentralheizung in der verlassenen Heimat, froren wir sehr und litten darunter. Es lähmte unsere Lust es mit dem Neuem Leben aufzunehmen.    

Große Langeweile. Meine Freunde fehlten mir. Meine Bücher vermisste ich, meine Farben zum Malen, unsere Schalplatten, einfach alles. Wir stritten mit meiner Schwester, später kam auch die kleine Schwester dazu, welche inzwischen von ihrer Lungenentzündung genesen war und mit ihren neuen Sprachkenntnissen angab… war aber nicht viel in der kurzen Zeit. Zu dem streikte sie und wollte außerhalb der Wohnung mit niemandem sprechen. Sie war von Anfang an gegen unsere Ausreise. Da sie erst 16 war, musste sie mit. Mich hatte man mit Erpressung zum Einverständnis gebracht. Auch das spielte eine große Rolle in unserer psychischen Verfassung. Zu dem ertrugen wir sehr schlecht die schlimme feuchte Kälte, die in der Wohnung herrschte.

Die ersten Eindrücke außerhalb der Wohnung:

Es machte uns großen Eindruck die Menge der Waren in den Regalen der Geschäfte und auch die Fremdartigkeit der verschiedener Lebensmittel, die es dort zu kaufen gab. Auch die anderen Gebrauchsartikel, alles um uns war neu, fremdartig. Da die Mutter schnell Arbeit fand, fehlte sie den ganzen Tag. Wir langweilten uns, eingeschlossen in der kalten Wohnung. Man verbot uns hinauszugehen. Die Verwandten hatten Angst, dass wir uns verlieren könnten, die Sprache kannten wir ja nicht. Langsam wurden wir wütend. Beide über 18, da hätten wir für uns sicher sorgen können. Da wir nichts zu tun hatten, entschieden wir den kleinen Hof ca.8m groß, welcher zu der Wohnung gehörte und voll Dreck und Abfall war, zu reinigen. Ein kleiner Baum vegetierte in der Ecke des Hofes und hat den Eindruck eines Gartens vorgegaukelt. Wir dachten uns, im Sommer könnten wir dort ein Tisch und Stühle stellen und dort auch essen.

Fehler!

Da haben wir nicht mit den Nachbarn von dem oberen Stock gerechnet. Diese waren auch für den ganzen Dreck da unten verantwortlich. Sie verstanden unsere Sprache nicht und wurden uns sofort feindlich gesinnt. Das gaben sie auch deutlich zu Ausdruck. Kaum haben wir den Hof an einem Tag geputzt gehabt, war es am anderen Tag voll Abfall und ausgeleerten Aschenbecher. Sobald wir dort erschienen waren, spuckten sie uns an. Da muss ich wahrscheinlich betonen, dass es sich da um erwachsene Menschen handelte und nicht Kinder! Fremden Hass von bester Sorte. Es verletzte uns sehr. Wir zogen uns wieder zurück in unsere Wohnung. Lange hielten wir es aber nicht mehr aus. Diese völlige Abgeschlossenheit machte uns wahnsinnig. In unserer alten Heimat bewegten wir uns frei den ganzen Tag nebst der Schule unseren Beschäftigungen nach und niemand schränkte uns ein oder verbot uns irgendetwas. Das war nicht das neue Leben, welches wünschenswert, zumindest für uns war. Wir sprachen mit der Mutter. Sie bat uns etwas Geduld zu haben. Die hatte ich aber nicht. Wie sollte es weiter gehen? Es gefiel mir dort nicht. Ich entschied mich

Zurück zu gehen.

Schlussendlich war ich volljährig, mein Studium könnte ich auch beenden während ich arbeitete. Wohnen könnte ich in Schwesternheim. So hatte ich mir es schön zurechtgelegt und wollte auf meiner Entscheidung stur beharren. Das tat ich auch. Aber… oh!... „Du kannst nie mehr zurück. Du hast keine Staatsangehörigkeit mehr, somit gehörst du nicht dahin. Außerdem die Visa, die wir hatten, galten nur für eine Durchreise. Niemand würde dich weiterreisen lassen von der Griechischen Grenze weiter. Und die Tschechen? Die sind froh uns los Zusein, sie sparten dadurch die Rentenansprüche eure und meine und später die meine von Pension. Und… überhaupt, wir haben kein Geld für Reisen hin und her! Du gehörst nicht mehr dahin. Hier, hier hast du Asyl bekommen und kannst froh sein, dass sie dich hier dulden.“ Ich war sprachlos, verzweifelt, unglücklich.

Für dieses Land, dessen Einwohner mich offensichtlich hassten, empfand ich nichts, höchstens Furcht, Abneigung. Ich sehnte mich nach dem Land, wo ich geboren war und aufgewachsen, dessen Sprache ich sprach und Kultur verstand, wo mein Vater begraben war.

Nach einiger Zeit fand man für mich eine Lösung. Damit ich mein Studium fortsetzen konnte, musste ich die Sprache lernen. So steckte man mich in eine kleine Privatklinik, wo ich auch wohnen konnte. (Auf einem kleinem Estrich mit anderen 3 Hilfsschwestern) Ich wurde als Hilfsschwester für ca.2 Monate angestellt mit einem minimalen Lohn. Da arbeitete ich Tag und Nacht, lernte wirklich die Sprache.

Die Nächte waren Quälend, weil die Zeit meiner Einstellung fiel mittlerweile auf die heißen Sommermonate und der Estrich-unsere Schlafstelle weder isoliert war, noch Fenster hatte und auch kein Ventilator zu Verfügung stand. Für 4 Personen unerträglich stickig war. Somit half ich lieber in mancher Nacht im klimatisierten O.P. bei Geburten. Endlich waren diese 2 Monate zu Ende und ich freute mich wieder in die Schule zu gehen und mein Studium zu beenden.

Ich ging mich verabschieden von dem Direktor und Inhaber der Klinik und auch mein Lohn zu bekommen. Aber… nichts war. Man weigerte sich mich zu bezahlen. Ich sollte ihnen dankbar sein, dass ich die Sprache lernen durfte. Da meine Mutter es wohl vorausgesehen hatte, befahl sie mir, von dort nicht weg zu gehen, bis man mich bezahlte. Nach einigen Stunden „Sitzstreik“, bekam ich endlich mein hartverdientes Geld befolgt von Beschimpfungen.

Es reichte gerade um ein paar weiße Schuhe zu kaufen, die ich brauchte für meine Schülerinnen uniform in der Krankenschwesternschule von Rotem Kreuz. Es fehlte mir gerade ein Jahr bis zum Diplom an der gleichen Schule in Prag. Jetzt hatte ich nach eingehender Prüfung die Gelegenheit fertig zu studieren. Aufnahme Prüfung? Mit Hilfe meiner Mutter als Dolmetscherin. In den 2 Monaten konnte ich mich zwar verständigen- die gängige Sprache verstand ich nunmehr gut, fließend sprechen aber mit Schwierigkeit. Heute wundert es mich, dass ich mit einem solchen Selbstvertrauen zum Abschluss des Studiums antrat. Das Problem? Die gesamte Nomenklatur war da in Griechisch. Ich habe es in Latein gelernt. Für die Prüfungen lernte ich alles praktisch auswendig. Zeit und Ruhe hatte ich dafür weil…

Ich praktisch isoliert war.

Die Krankenschwestern Schule von Roten Kreuz hat auf der ganzen Welt den gleichen Lehrstoff, was sehr gut war, so konnte ich leicht fortsetzen dort, wo ich im anderen Land aufgehört hatte, sobald ich die Sprache beherrschte. Anderes war es aber mit der funktionellen Führung der Schule. Diese war natürlich der jeweiligen Kultur des Landes angepasst. So auch in der Schule, in welche ich nun aufgenommen wurde. Die Direktion wurde beherrscht von einer konservativen christlich orthodoxen Gruppe von Dipl. Kr. Schwestern-fast Nonnen, welche die Führung sowohl des Spitals, wie auch der Schule in den Händen hielten. Die ganze Art und Weise, wie alles dort funktionierte, war mir fremd. Ich verstand es überhaupt nicht. Ich musste dort wohnen im Internat, wie alle anderen Schülerinnen, welche aus weit entfernten Gegenden Stammten, und durfte nicht einmal am Sonntag Nachhause, obwohl ich in der gleichen Stadt wohnte. Anders, als in meiner alten Heimat, wo ich Zuhause wohnte und jeden Tag von dort zur Schule, oder zum Praktikum ins Spital ging. Mit meinen 19 Jahren fiel mir schwer mich unterzuordnen und keine Möglichkeit zu haben über meine Freie Zeit verfügen zu können. Zu dem, da ich aus einem Kommunistischen Land stammte und dazu noch auch katholisch getauft war, in ihren Köpfen bedeutete ich eine Gefahr für die anderen Schülerinnen. Die Gefahr war gleich mehrfach: Kulturell, Politisch, Religiös und wer weiß noch was.

So musste ich alleine wohnen in einer Office Küche 2x2m groß, ohne Fenster und so stickig, dass ich die meiste Zeit die Türe offen haben musste. Konnte ich jede Zeit beobachtet werden. Die anderen Schülerinnen, obwohl alle älter als ich, durften mit mir nicht sprechen. Die Isolierung Monate lang, war für mich so schlimm, dass ich mich entschied die Schule zu verlassen. Vor einem „Gremium“ habe ich die Gründe für meine Entscheidung aufgeführt und so wahrscheinlich eine Lockerung der „Schutz Maßnahmen“ erwirkt. Man bat mich zu bleiben und integrierte mich ordentlich in die Klasse. Ich wohnte ab dann mit zwei anderen Schülerinnen, wie alle anderen und konnte endlich die Sprache richtig lernen. Der Preis dafür war, jeden Sonntag unendlich lange in der Spitalkirche die Messe zu besuchen und den ganzen Sonntag nichts anderes tun dürfen, als in der Heiligen Schrift zu lesen. Dabei wollte ich lesen, lernen, und Briefe an meine Freunde in der alten Heimat zu schreiben. Die Einschränkungen trafen mich so hart, dass ich bis zum Diplom an einer chronischen Gastritis litt.

Nächste Blitzerinnerung

Ja, das Diplom bekam ich als beste der Klasse, sogar ein Preis von 5000Drch. war dabei. Den bekam ich feierlich überreicht von der Königin Frederike selbst. Nachher, hinter den Kulissen musste ich aber die Hälfte des Preises mit der 2.besten Schülerin teilen. Es ging ja nicht, dass eine Fremde den ganzen Preis bekommt. Das gleiche auch mit meiner Anstellung als nun fertige Krankenschwester des Roten Kreuz in Griechenland. Eine Staatenlose konnte dort nicht angestellt werden. Durch Bekannte vermittelt, bekam ich eine Stelle in einer privaten Klinik, mit den bereits geschilderten Nachteilen. Die Arbeit dort war sehr hart, da die Klinik sehr wenig Personal hatte und meine Verantwortung sehr groß war. 20 Stunden Arbeitstag war keine Seltenheit. Als ich von dort in eine andere Klinik wechselte, weigerte sich die Direktion der Klinik mich für meine 3Wochen Urlaubsanspruch zu entschädigen und zu dem erfuhr ich später, dass sie meine Pensionsbeiträge von einem ganzen Jahr unterschlagen hatten und nie eingezahlt hatten. Beschweren durfte ich mich nicht. Sonst bekäme ich nie mehr eine Arbeit. Ich hatte keine Rechte, ich war ja ein NIEMAND.

Einige Monate später lernte ich meinen zukünftigen Mann kennen, den ich später heiratete. Da bekam ich meinen neuen Namen und eine neue Staatsangehörigkeit …neue Identität.

Ich war kein NIEMAND mehr.

Freunde:

Ja, jetzt hatte ich wieder eine Identität, hatte Rechte, konnte sogar wählen. Mit der Hilfe meines Mannes lernte ich die Sprache richtig. Trotz dem auch nach 50 Jahren merkt man mir meine Herkunft an. Das wird sich auch nie mehr ändern. Ich werde immer in Englisch angesprochen und wenn man von mir spricht, bin ich immer noch… die Fremde. Wenn man nett zu mir sein wollte, fragte man mich, woher ich komme und dann bekam ich lob, wegen der guten Aussprache. Nochmals…Freunde? Nur die Freunde meines Mannes gewann ich. Alle anderen waren Bekannte. Es umgab mich eine unsichtbare gläserne Wand, die eine Annäherung und vor allem Vertrauensverhältnis verhinderten. Dies kam sicher von beiden Seiten. Nie hätte ich gedacht, wie wichtig die gemeinsamen Erlebnisse aus der Kindheit und die Kulturelle Unterschiede die zwischenmenschlichen Beziehungen sind.

Kulturelle Unterschiede spielen da sicher auch eine Rolle:

Schon einfache Floskeln und Wünsche, die man von klein auf hört und gelernt hat zu sagen zu bestimmten Situationen im Leben: Geburtstag, Namenstag, Taufe, Hochzeit, irgendeine Kirchenfeier, Todesfall… man muss lernen, zur richtigem Ereignis, das richtige zu sagen. Wenn man darin geboren und aufgewachsen ist, kein Problem, man füllt es. Es sind „Schlüsselworte“ für menschliche Beziehungen dieser bestimmten Gesellschaft. Das aber als Erwachsene zu aneignen, gleicht einer Verstellung. Man hat es nicht im Gefühl. Wie auch in der Kirche alle Ikonen ringsherum küssen, dem Pfarrer die Hand zu küssen, sich vor jeder Kirche zu bekreuzigen. Ich bin gläubig, aber für mich. Ich muss es nicht so offensichtlich machen, es macht mich verlegen und vielleicht genau das ist auch der Grund für die Gläserne Wand zwischen mir und meinen Potentiellen Freunden.

Anerkennung in der Arbeit:

In der Arbeit wurde ich immer gleich behandelt, entsprechend meiner Leistung. Auch das Verhalten meiner Kollegen war nicht anderes als zwischen ihnen selbst. Die Entlohnung den Gesetzlichen Vorgaben entsprechend. Ich hatte nunmehr keinen Sonderstatus.

Heimweh:

Da bleibe ich lange nachdenklich sitzen. Seit meiner Abreise sind genau 50 Jahre vergangen und ein paar Monate. 2x habe ich meine alte Heimat mit meinem Mann besucht, ihm mein Geburtsort gezeigt, das Haus wo wir gewohnt haben (das stand noch), die Schule wo ich die Primarschule besucht hatte, die Sehenswürdigkeiten, auf die ich so stolz war. Ich sah, er war beeindruckt, und das freute mich. Etwas anderes war aber gleichzeitig auch passiert. Bei Gesprächen mit den Einheimischen und sogar mit unseren Verwandten Väterlichen Saits, merkte ich, dass ich für sie eine Fremde wurde. Ich gehörte nicht mehr dorthin. Wurde es besser, als ich in die neue Heimat zurückkehrte? Eigentlich nicht. Ich hatte keine Heimat… oder auch beide…ein bisschen.